Dieser Blog-Artikel ist der 3. Teil der Artikel-Serie ‚Die Magie des Anfangs‘. Den 1. Teil zum Thema ‚Was Deinen autistischen Partner so attraktiv gemacht hat‘ kannst Du hier lesen. Den 2. Teil (‚Warum Dein Partner sich für Dich entschieden hat‘) findest Du hier.
Viele neurotypische Partnerinnen berichten, dass sich das Zusammensein mit dem autistischen Partner von Anfang an sehr vertraut angefühlt hat. Hast Du das auch so erlebt? In diesem Artikel erfährst Du, welche Faktoren Deine Partnerwahl beeinflusst haben könnten und warum es sich lohnt, sich dafür mit der eigenen Biografie auseinanderzusetzen.
Hattest Du von Beginn an das Gefühl, Deinen Partner schon ewig zu kennen?
Habt ihr euch unmittelbar sehr wohl und vertraut miteinander gefühlt?
Hat es sich angefühlt, als würdest Du nach Hause kommen?
Hast Du Dich vielleicht manchmal etwas verwundert gefragt, wie das denn sein kann, wo ihr euch doch noch gar nicht so lange kennt?
Tatsächlich kann es sein, dass Dir einige der Eigenschaften und Verhaltensweisen Deines Partners so vertraut vorkamen, weil Du sie bereits aus Deiner Ursprungsfamilie, also von Deiner Mutter oder Deinem Vater kennst.
Der Autismus fühlt sich vertraut an
Viele neurotypische Partnerinnen berichten, dass auch ihr Vater oder ihre Mutter (manchmal auch beide) autistisch sind bzw. waren.
Die Eltern haben meist keine Diagnose erhalten und den Verdacht, dass auch sie autistisch sein könnten, entwickelt die neurotypische Partnerin häufig erst, nachdem sie sich aufgrund eigener Partnerschaftsschwierigkeiten mit dem Thema ‚Autismus‘ auseinandergesetzt hat.
Die besonderen Merkmale und Eigenheiten des Partners fühlen sich aufgrund der Erfahrungen mit dem eigenen autistischen Elternteil vertraut und sicher an1. Nicht selten zeigt der autistische Partner seine Liebe auf ganz ähnliche Weise, wie es der autistische Elternteil in der Kindheit getan hat (z. B. häufig eher durch Taten als durch viele Worte).
Die neurotypische Partnerin hat also durch ihre Ursprungsfamilie ein intuitives Verständnis von Autismus, auch wenn dieser häufig nicht erkannt und deshalb auch nicht als Autismus bezeichnet wurde. Sie ist sozusagen ‚bilingual‘ (das heißt sowohl mit der autistischen als auch mit der neurotypischen ‚Sprache‘ und ‚Kultur‘) großgeworden, was oft auch der autistische Partner beim Kennenlernen unmittelbar wahrnimmt.
Er spürt direkt, dass er es mit jemandem zu tun hat, der ihn gut ‚lesen‘ kann, der intuitiv weiß, wie er tickt und wie er kommuniziert2. Das kann dazu führen, dass der autistische Partner sich so verstanden fühlt wie noch nie zuvor in seinem Leben, was die Partnerin in seinen Augen (neben vielen anderen Eigenschaften, siehe hier) natürlich sehr attraktiv macht.

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Warum ausgerechnet dieser Mann?
Aber wie kommt es eigentlich, dass wir Menschen uns häufig Partner aussuchen, die uns in irgendeiner Weise an unsere Eltern erinnern?
Wir verlieben uns nicht zufällig in einen ganz bestimmten Menschen. Im Prozess des Sich-Verliebens spielen viele bewusste und unbewusste Mechanismen eine Rolle.
Einer der Gründe für dieses fast unheimliche Sich-angezogen-Fühlen von Vertrautem ist, dass man als Kind in der Ursprungsfamilie lernt, wie Beziehungen ‚normalerweise‘ funktionieren, was Liebe bedeutet und wie sie gezeigt wird3. Das heißt, unsere Lernerfahrungen in der Kernfamilie formen unser Bild dessen, was wir im Kontakt zu anderen Menschen als normal empfinden. Wir verknüpfen also das Verhalten unserer wichtigsten Bezugspersonen (meist der Eltern) mit dem Gefühl, geliebt zu werden.
Auch wenn Du vielleicht schon als Kind oder jetzt als Erwachsene bestimmte Verhaltensweisen Deiner Eltern negativ bewertest, ist dieses Verhalten für Dich also trotzdem mit Liebe verbunden und Du empfindest es vermutlich als normal4.
Es kann sein, dass Du Dich vor allem zu Menschen hingezogen fühlst, die Persönlichkeitsmerkmale jenes Elternteils aufweisen, das Dich biografisch am meisten verletzt hat. Diese Anziehung ist möglicherweise der Versuch, als Erwachsene eine Situation zu bewältigen, der Du als Kind vollkommen hilflos ausgesetzt warst5.
Manche Menschen versuchen aufgrund schwieriger Erfahrungen in ihrer Ursprungsfamilie, ganz bewusst einen Partner zu wählen, der den Eltern möglichst wenig ähnelt. Trotz aller Bemühungen entscheiden sie sich manchmal dennoch mit schlafwandlerischer Sicherheit für einen ähnlichen Partner.
Das liegt zum einen daran, dass die elternähnlichen Eigenschaften zu Beginn einer Beziehung oft kaum zutage treten und erst im Verlauf der Partnerschaft deutlich werden6. Zum anderen nimmt das Unbewusste aller bewussten Versuche zum Trotz die unterschwellige Ähnlichkeit (und somit die Vertrautheit) wahr.
Die Psychotherapeutin Lori Gottlieb beschreibt es so: „Das Unbewusste hat ein ausgefeiltes Radarsystem, das dem Bewussten nicht zur Verfügung steht.“7 (S. 280)
Es kann also sein, dass Du sehr stark versucht hast, einen Partner zu wählen, der Deinen Eltern möglichst unähnlich ist, und trotzdem irgendwann feststellst, dass Dein Partner ausgerechnet einige der Eigenschaften aufweist, die Du bei Deinen Eltern am schwierigsten fandest8.

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Sich wiederholende Muster
In der Auseinandersetzung mit Autismus und Deiner eigenen Partnerschaft kann es vor dem eben beschriebenen Hintergrund sehr hilfreich sein, einen genauen Blick auf Deine Ursprungsfamilie und die Umstände und Motivationen rund um das Kennenlernen und die Wahl Deines Partners zu werfen:
Erkennst Du Muster, die sich wiederholen?
Hast Du etwas ganz Bestimmtes bewusst vermieden (und bist evtl. trotzdem dort gelandet)?
Viele neurotypische Partnerinnen stellen beim Betrachten ihrer Biografie fest, dass sie immer wieder Partner gewählt haben, die ähnliche Eigenschaften aufwiesen9. Etliche hatten sogar mehr als einen autistischen Partner10. Darüber hinaus kann es auch sein, dass Dein Partner (zumindest am Anfang eurer Beziehung) einfach viele Deiner wichtigsten Bedürfnisse sehr gut erfüllt hat und vielleicht auch aktuell noch erfüllt.
Einige Partnerinnen berichten, dass sie ihren Partner in einer emotional schwierigen und anstrengenden Zeit kennengelernt haben: kurz nachdem sie eine andere Partnerschaft beendet hatten oder verlassen wurden11, nach dem Tod des vorigen Partners12 oder in einer Zeit des allgemeinen Umbruchs, zum Beispiel durch Beendigung des Studiums13.
Vor dem Hintergrund dieser emotionalen Verletzlichkeit ermöglichte der ruhige, sanfte, rücksichtsvolle und loyale autistische Partner ein geringes Tempo beim Kennenlernen (das die Partnerin steuern konnte) und er schien ein ruhiges Leben, Stabilität und Sicherheit zu versprechen14.
Wenn Du die Einflüsse Deiner Ursprungsfamilie (und auch vergangener Liebesbeziehungen) kennst, kannst Du bewusstere Entscheidungen treffen und die negativen Auswirkungen vergangener Erfahrungen auf Deine Partnerschaft verringern.

Was macht Deinen autistischen Partner so besonders?
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Quellen
- Attwood, T., & Garnett, M. (2023). Online Course: Autism in Couple Relationships.
Online-Publikation:
https://attwoodandgarnettevents.com/product/online-course-autism-in-couple-relationships/?wcmlc=USD
Abrufdatum: 24.01.2024 ↩︎ - Attwood, T., & Garnett, M. (2023). Online Course: Autism in Couple Relationships.
Online-Publikation:
https://attwoodandgarnettevents.com/product/online-course-autism-in-couple-relationships/?wcmlc=USD
Abrufdatum: 24.01.2024 ↩︎ - Ariel, C. N. (2012). Loving someone with asperger`s syndrome. Understanding & Connecting with Your Partner. New Harbinger Publications, Inc. ↩︎
- Ariel, C. N. (2012). Loving someone with asperger`s syndrome. Understanding & Connecting with Your Partner. New Harbinger Publications, Inc. ↩︎
- Gottlieb, L. (2020). Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden. Hanserblau. ↩︎
- Arad, P. (2020). When your man is on the spectrum. To know, understand and transform your relationship. eBookPro Publishing.
Gottlieb, L. (2020). Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden. Hanserblau. ↩︎ - Gottlieb, L. (2020). Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden. Hanserblau. ↩︎
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- Ariel, C. N. (2012). Loving someone with asperger`s syndrome. Understanding & Connecting with Your Partner. New Harbinger Publications, Inc. ↩︎
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Daniels, E. (2015). Geliebter Fremder: Wie Frauen ihren Asperger-Mann lieben und verstehen. TRIAS Verlag. ↩︎ - Arad, P. (2020). When your man is on the spectrum. To know, understand and transform your relationship. eBookPro Publishing.
Pike, J., & Attwood, T. (2019). Neurodiverse Relationships. Autistic and Neurotypical Partners Share Their Experiences. Jessica Kingsley Publishers.
Daniels, E. (2015). Geliebter Fremder: Wie Frauen ihren Asperger-Mann lieben und verstehen. TRIAS Verlag.
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- Arad, P. (2020). When your man is on the spectrum. To know, understand and transform your relationship. eBookPro Publishing.
Mendes, E. A. (2015). Marriage and lasting relationships with Asperger’s syndrome (autism spectrum disorder): Successful strategies for couples or counselors. Jessica Kingsley Publishers. ↩︎